PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKant BildHegelMarxAdornoMarcuseBloch

Erinnyen 18 Logo Zeitschrift Logo

Erinnyen Aktuell ButtonPhilosophieseite ButtonSchuledialektik ButtonVereindialektik ButtonBuchladen ButtonTagbuch ButtonRedakteur Button

 

Home Editorial Button

Aphorismen Button

Materialistische Ethik Button

Rezensionen Button

Glossar Button

Impressum Button

Abbonieren Sie
unseren:

Newsletter Button

Holen Sie sich die
neuesten Headlines
auf ihren Bildschirm:

RSS-Feed Button
 

 

 

Aphorismen Titel

Inhalt

Revolution am Samstang Nachmittag?

Leibniz' beste aller Welten

Ein Tag im Mai
Über die Aktualität des Klassenkampfes
Eine Collage aus der Gegenöffentlichkeit

Divider Linie

 

Revolution am Samstag Nachmittag?

Ein Vater, ein alter 68er, saß neben seiner sechzehnjährigen Tochter. Die hörte mit einem Kopfhörer Radio. Plötzlich schrie sie laut auf:
„Die Revolution ist ausgebrochen.“
Der Vater antwortete ihr spontan: „In der Waschmaschinenwerbung oder bei Dieter Bohlen?“
Doch klammheimlich überlegte er einen Moment, ob an ihren Worten etwas dran sein könnte. Es war Samstag Nachmittag und er entschied überzeugt: Unmöglich; am Samstag hockt der Gesamtarbeiter im Fußballstadion oder glotzt die Spiele im Privatfernsehen.

Divider Linie

 

Leibniz’ beste aller Welten

Zweck aller idealistischen Philosophie war es stets, die Menschen mit ihrem je gegenwärtigen Schicksal in Gedanken zu versöhnen. Der Mensch soll seine Pflicht tun, sich mit dem bescheiden, was er hat oder – heute – was karrieremäßig möglich ist. Er soll die Gebote der Sittlichkeit halten, dann wird er von einem höheren Prinzip, meist dem Gott, belohnt. Am schönsten hat diese Bejahung der gesellschaftlichen Ungleichheit, wie sie in der Geschichte geworden ist, Leibniz ausformuliert.

Gott hat nach Leibniz die „beste aller möglichen Welten geschaffen“; alle Teile des Kosmos, Natur und Geist, Leib und Seele der Menschen sind als Monaden in „prästabilierter Harmonie“ miteinander verbunden. „Endlich wird es unter dieser vollkommenen Regierung (Gottes im Reich des Geistes) keine gute Tat ohne Vergeltung, keine schlechte ohne Züchtigung geben. Alles muss zum Wohle der Guten ausschlagen, d. h. derer, die in diesem großen Staat nicht zu den Missvergnügten gehören, die sich der Vorsehung anvertrauen, nachdem sie ihre Pflicht getan haben, die den Urheber alles Guten nach Gebühr lieben und nachahmen, indem sie sich an der Betrachtung seiner Vollkommenheit freuen. (…) Solches bewirkt, dass die Weisen und Tugendhaften an alledem arbeiten, was mit dem mutmaßlichen oder vorhergehenden göttlichen Willen übereinzustimmen scheint – und gleichwohl mit dem zufrieden sind, was Gott vermöge seines geheimen, nachfolgenden oder entscheidenden Willens wirklich eintreten lässt. Sie anerkennen nämlich, dass wir, wenn wir die Weltordnung hinreichend zu verstehen imstande wären, finden würden, wie sie alle Wünsche der Weisesten übertrifft, und wie es unmöglich ist, sie besser zu machen, als sie ist. Und zwar nicht bloß für das Ganze im Allgemeinen, sondern auch für uns selbst im Besonderen, wenn wir nämlich dem Urheber des Ganzen nach Gebühr ergeben sind: sowohl als dem Baumeister und der bewirkenden Ursache unseres Seins, wie auch als unserem Herrn und Endzweck, der das ganze Ziel unseres Willens ausmachen muss und allein unser Glück bewirken kann.“ (§ 90.)
(Nach „Monadologie“ (Reclam), 1975 - in neuer Rechtschreibung)

Wie Voltaire auf diesen Idealismus reagierte, hat er in einem satirischen Roman deutlich gemacht. Seine Titelfigur läuft durch die „beste aller Welten“ und die sieht unter anderem so aus: „Derweil dann die beiden Könige das Te Deum singen ließen, jeder in seinem Lager, beschloss er (Candide), anderweitig Wirkungen und Ursachen zu durchdenken. Er stieg über Haufen von Toten und Sterbenden und erreichte zuerst ein Nachbardorf; es lag in Schutt und Asche. Es war ein Abarendorf, das die Bulgaren nach den Bestimmungen des allgemeinen Völkerrechts gebrandschatzt hatten. Hier sahen Greise von Schüssen durchsiebt ihre hingeschlachteten Weiber sterben, die Kinder an die blutigen Brüste gepresst, dort taten Mädchen mit aufgeschlitzten Leibern den letzten Atemzug und hatten noch die natürlichen Bedürfnisse einiger Helden gestillt; andere, halbverbrannt, schrien, dass man ein Ende mit ihnen mache. Hirn bedeckte den Boden nebst abgehauenen Armen und Beinen.“ (dtv, S. 15; 2003 - in neuer Rechtschreibung; die Assoziation von „Bulgaren“ und „Abaren“ mit Barbaren ist gewollt.)

Zurück zum Anfang des Textes

Wir haben in Europa zur Zeit Frieden? Dann sind die Barbarismen nur anders: Und er wachte auf und hatte Krebs, im Postkasten lag sein Entlassungsbrief, sein Haus wurde versteigert, seine Frau ließ sich scheiden und er musste unter den Brücken schlafen. Die beste aller denkbaren Welten hatte ihn zerstört, er machte die schmerzlichen Erfahrungen eines Candide, ohne dass ein allwissender Erzähler sein Schicksal zur Belehrung und satirischen Belustigung der Nachwelt aufschrieb. Die Armut förderte seine Krankheit – und als er starb, da war keine „vollkommene Regierung“ im Himmel, da war nicht einmal ein Himmel, es war auch nicht einfach wüst und leer, auch nicht schwarz, wie man sich einen traumlosen Schlaf vorstellt – es war Nichts. Lediglich seine zerstreuten Moleküle und Atome schwirrten durch das Weltall, ohne sich jemals wieder zur Monade organisieren zu können.

Das Allgemeine, das die Philosophen schon vor Leibniz als Produkt der Menschen enttarnt hatten, wird von dieser idealistischen Philosophie vergöttlicht, obwohl es doch der Erfahrung so krass widerspricht. Es ist nicht erst aus der Perspektive von Auschwitz falsches Bewusstsein. Wenn das ideale Allgemeine Bluff ist, Ruhigstellung und Trost für die, welche damals im Schweiße ihres Angesichts hinter dem Pflug hergehen mussten und heute im Kreislauf von Produktion und Konsumtion abgenutzt werden - die amerikanische Gesellschaftskritik nennt das Rattenrennen (rat race) -, wenn das ideale Allgemeine also Ideologie ist, dann liegt der Verdacht nahe, dass jedes Allgemeine in dieser besten aller Welten falsch ist. Dass Staat und Gesellschaft, Institutionen und Behörden, Technik und Kultur nichts weiter sind als Mittel, die Pflichterfüller, Arbeitenden und Organisierenden, zu manipulieren, bei der Stange zu halten und zu verblöden.

Was ist die Konsequenz aus dieser Einsicht? Vielleicht diese: Genießen wir „Gottes Schöpfung“, also das, was noch übrig bleibt, etwa unseren Rosengarten, wenn wir ihn uns leisten können. Lassen wir andererseits die Kinder in Afrika verhungern, seien wir froh, dass es bei uns noch nicht ganz so schlimm ist. Lassen wir die US-Amerikaner in Afghanistan auf Hochzeitsgesellschaften schießen und den iranischen „Widerstand“ seine Gefangenen und Geiseln abknallen. Genießen wir den melancholischen Kaffee, der von Indios für einen Hungerlohn gepflückt wurde, und den Whisky, dessen Inhalt, der sommerreife Weizen von Illegalen vergoren und gebrannt wird. Es gibt kein Gottesreich, keine Belohnung guter Taten, keine prästabilierte Harmonie, weder in der Welt noch zwischen Seele und Körper. Allein das Heute zählt, der unmittelbare Genuss, das vereinzelte, sich selbst genießende Ich. Opportunismus, Egoismus und Laster sind moralische Anklagen ohne gültige Moral, Kaugummibegriffe zur Erbauung der Einfältigen.

Derart ist der gegenwärtige Zustand. Nichts soll durch Pfaffenrhetorik rationalisiert werden. Dennoch wäre zu fragen, ob nicht in dem Gedanken, wir leben in der besten aller Welten, ein Fünkchen Wahrheit glimmt.

Zurück zum Anfang des Textes

Zunächst einmal: Wir können nicht aus dieser Welt hinausspringen, es ist unsere, wir haben keine andere. Die Mörder sind unsere Brüder im Menschsein, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. Jedes Ausschweifen der Seele in Traumwelten, Fantasiegebilde und Utopien ist selbst noch ein Teil des Schlechten. Wir sind nicht nur Geist, sondern auch Köper, Leib, und schwingt sich die Seele auch in die Höhe, juchhe, der Körper bleibt auf dem Kanapee. Dort wird er getroffen von allen Maßnahmen, die sich das Führungspersonal der herrschenden Verhältnisse einfallen lässt. Jeder Eskapismus – zum Prinzip erhoben – ist selbst ein Allgemeines. Man kann den gesellschaftlichen Zumutungen nicht mehr entfliehen wie einst Epikur in seinen Garten. Man muss sich wehren, vor allem wenn einem nicht der glückliche Zufall zu Hilfe kommt. Aber wer hat schon sechs Richtige im Lotto. Also Widerstand oder Brücke!

Leibniz’ Philosophie hat deshalb ein Moment von Wahrheit, wir leben in der besten aller Welten, aber nicht weil ein allgütiger Gott sie nach seiner unbegreiflichen Weisheit als beste unter möglichen schlechteren Alternativen eingerichtet hat, sondern weil wir keine andere haben, weil wir auf das, was zur Zeit ist, angewiesen sind. Wenn der Gott bei Leibniz Alternativen hatte und einen freien Willen, zwischen ihnen zu wählen, dann denkt das ein Menschenhirn, also ist das Wahlvermögen eine menschliche Fähigkeit – nur ins Ideal-Absurde gesteigert. Wir haben die Wahl, uns die beste aller möglichen Gesellschaftsordnungen in dieser Welt zu erzeugen. Gott ist nichts anderes als die überhöhte Fähigkeit des Menschen. Und wenn der Reichtum auf der Welt ständig wächst, warum sollten wir ihn nicht so verteilen, dass alle ihren gerechten Anteil daran haben, dass der Hunger verschwindet, dass der Kampf um Sondervorteile befriedet, die menschverachtende Produktion um der Produktion willen gestoppt wird …

Nutzen wir also unsere Fähigkeiten. Als Leibniz die Feudalgesellschaft verteidigte – sie sei ohne Alternative -, war sie bereits in der Defensive, sodass selbst sein Rationalismus (ungewollt) zu ihrem Untergang beitrug. Ohne Leibniz kein Kant und Hegel, ohne Kant und Hegel kein Marx, ohne Marx keine rationale sozialistische Alternative in dieser Welt. Ersetzen wir das bestehende schlechte Allgemeine durch das vernünftige Allgemeine, das sich mit dem Besonderen versöhnen kann. Bringen wir die reflektierte Einbildungskraft an die Macht. Was fehlt, ist nur noch der letzte zureichende Grund: die Menschen, die sich aufrappeln. Die Überwindung der irrationalen Feudalgesellschaft hat 500 Jahre gedauert, wie lange dauert die Überwindung der gegenwärtigen längst überflüssigen Herrschaft? Wie lange lassen wir uns noch die Zumutungen dieses anonymen und entfremdeten Mechanismus und seiner Nutznießer gefallen? Tun wir unsere Pflicht in der besten aller Welten, erkämpfen wir das real Mögliche. Öffnen wir den Kleinmütigen ihre fensterlose Monade - wie hoffnungslos der Erfolg zur Zeit auch erscheint.

Zurück zum Anfang des Textes

Divider Linie

Zurück zum Anfang der Seite

Wenn Sie uns Ihren Kommentar schreiben
wollen, können Sie dies über unser:

Feedback-Formular

 

Zum Impressum

© Copyright:

Alle Rechte liegen beim Verein zur Förderung des dialektischen Denkens e.V. und der Zeitschrift Erinnyen.

Letzte Aktualisierung: 23.05.2007